by Aesop Rock » 25. July 2004, 16:15
Zuerst fragte ich, ob sie den alten Mann kannte. Sie sagte, dass sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Als nächstes interessierte ich mich dafür, wie sich der alte Mann benahm und sie meinte, er wäre nervös gewesen, schaute sich ständig um – zur Tür, auf die Uhr.
„Als ob er auf jemanden warten würde?“
„Ja, würde ich sagen. Er hatte vor irgendetwas Angst, das ist sicher.“
Sie begann etwas zu flüstern, als ob der Mann sie noch immer hören konnte, na ja, ich hatte sie ja auch in dem Glauben gelassen, er würde noch leben.
„Wenn Sie mich fragen, hatte er eine Affäre. Er hatte diesen schuldbewussten Blick... wie ein Ehemann auf Abwegen.“
Man soll ja eigentlich nicht schlecht über Tote reden...
„Wissen Sie noch, was geschah, als der Clown hereinkam?“
„Ich erinnere mich noch an diese grässliche Melodie, die er spielte. Es war die reinste Begräbnismusik.“ sagte sie mit verzogenem Mund.
Ich konnte Akkordeonmusik sowieso noch nie leiden.
Ich erkundigte mich, ob der Clown mit dem alten Mann gesprochen hatte.
Das Fräulein entgegnete, dass der Clown den Mann nur ausgelacht habe.
„Dann grabschte er sich den Koffer des alten Mannes und rannte raus.“ fuhr sie fort.
„Hat der alte Mann versucht, den Clown zu stoppen?“
„Oh, dazu hatte er überhaupt keine Möglichkeit. Der Clown ließ sein Akkordeon fallen und rannte zur Tür hinaus. Das ist alles. Mehr weiß ich nicht mehr.“ Ihre Stimme klang immer wehleidiger und ich stellte im Gedanken die Vermutung an, dass das Akkordeon mit einer Bombe versehen war, raffiniert, eigentlich zu raffiniert für einen Clown.
„Haben Sie gesehen, was der alte Mann in seinem Koffer hatte?“ Das interessierte mich brennend. Es musste irgendetwas überaus Wertvolles gewesen sein.
Die Bedienung ließ meine Träume sofort wieder verpuffen. Der Mann hatte den Koffer nicht geöffnet. Ich wollte wissen, was der alte Mann tat, als der Clown sich den Koffer grabschte.
„Nichts. Er saß einfach da, wie erstarrt.“ Sie rief sich wohl das Gesicht des Mannes wieder ins Gesicht, denn sie begann zu weinen und ließ ihren Kopf wieder in ihre Handflächen plumpsen. Sie sollte im Café bleiben, während ich mich draußen nach Beweisen umsehen wollte. Ich kam mir langsam vor wie Sherlock Holmes oder mit ein paar Jahren mehr Columbo. Ich mochte Detektivgeschichten schon immer und langsam, aber sicher packte mich der Ehrgeiz, den Clown hinter Gittern zu sehen und zwar ungeschminkt.
Ich legte meine Hände an meine Hüfte und begann tief ein und auszuatmen, um meinen Denkfluss ein wenig zu erhöhen. Auf dem Bürgersteig war nichts von Interesse.
Ich beschloss, bis die Polizei eintraf, auf eigene Faust den Fluchtweg des Mörders zu verfolgen und als ich gerade einen Schritt auf die Straße getan hatte, fiel mir eine Zeitung auf, die sich um den Laternenpfahl gewickelt hatte. Ich hob die Pariser Tageszeitung auf und schlug zufällig den Leitartikel auf. Er erzählte etwas über den Besuch eines Nobel – Preis – Gewinners aus einem dieser unaussprechlichen osteuropäischen Staaten. Das war aber auch schon die einzige echte Nachricht. Der Rest bestand aus Gerüchten, Klatsch und Sensationsberichten. Ganz klar eine Zeitung von der Sorte, die ihren Inhalt mit Sex, Skandalen und Sportergebnissen bestreitet. Ich überflog die Seite.
Mir fiel die Notiz unten auf der Seite ins Auge. Dort stand: ‚Salah – eh Dinn, 13 45’.
Nun, so wirklich etwas anfangen konnte ich damit nicht, also steckte ich mir die Zeitung ein und begab mich in die Gasse, in die ich den Clown hatte flüchten sehen.
Im Großen und Ganzen war die Sackgasse ziemlich verdreckt, die Wände waren fast nackt, überall lag Müll herum, hauptsächlich alte Glasflaschen und marode Kartons.
Zu meiner Rechten befand sich ein Regenrohr an der Hauswand, es sah so aus, als ob es mein Gewicht tragen konnte. Ich holte tief Atem und begann, das Regenrohr hochzuklettern.
Leider klappte dieses Vorhaben nicht denn das Rohr brach ab, als ich nur einmal leicht daran zog. Ich nahm an, dass der Clown über die Dächer getürmt war.
Neben dem Regenrohr war ein Fenster in der Hauswand, geschützt durch solide wirkende Eisenstäbe. Ich rüttelte an den Stäben, um zu sehen, ob der Clown vielleicht durch das Haus geflüchtet war, doch die Stäbe bewegten sich im Gegensatz zu dem Rohr keinen Millimeter.
Diese Möglichkeit konnte ich also wieder ausschließen. Weiter an der Wand entlang standen drei Mülltonnen und dazwischen ein Stapel Kartons, in denen mal Weinflaschen verpackt waren. Die Untersuchung der ersten Mülltonne erbrachte nichts, sie war schlicht und ergreifend leer. Ich untersuchte die Kartons genauer. Sie waren feucht, ziemlich muffig und einwandfrei leer. Nun fokussierte ich mich auf die zweite Tonne.
Als ich sie öffnete stieg mir der Gestank entgegen. Es roch, als ob jemand an einem heißen Hochsommertag eine Ladung Fisch in einem Umkleideraum abgestellt hätte.
Ich knallte den Deckel wieder auf die Tonne, ich wollte mir nicht einmal die ausmalen, was die Quelle des Gestanks war. In der dritten Tonne stank es zwar nicht so höllisch, aber trotzdem habe ich mich höllisch erschrocken, da eine schwarze Katze dort ihr Schläfchen hielt und als ich den Deckel anhob, sprang mir die Straßenkatze entgegen und lief davon.
Ich beschloss nicht weiter im Müll zu graben, aber um mein Missfallen kundzutun, trat ich gegen eine herumliegende, sowieso schon verbeulte Plastikkiste.
Als ich mich gerade wieder umdrehte, um zum Café zurückzukehren, fiel mir eine Eisenplatte im Boden auf, die den Eingang zu einem Kanalisations- oder Abflussrohr versperrte.
Das war noch eine Möglichkeit, der Clown hätte eventuell durch die Kanalisation flüchten können, mit dem richtigen Werkzeug, denn mit den bloßen Händen bekam ich den Gullydeckel nicht auf, da ich keinen guten Angriffspunkt fand.
Enttäuscht begab ich mich auf die Straße zurück, auf der mir vorher eine kleine Baustelle aufgefallen war, in der ein klobiger Mann den Boden mit einer Spitzhacke bearbeitete.
Er musste auch etwas gesehen haben, denn die Baustelle war nicht sehr weit vom Café entfernt. Im Laufschritt ging es hinüber zur Baustelle, die im Eingang in die angrenzende Allee lag. Ich war gerade in die Schatten der Bäume an der Seite der Allee getreten, da kam mir endlich die Polizei entgegen, genauer gesagt war es ein einzelner Gendarm.
Ich wollte ihn gerade begrüßen und auf den Tatort verweisen, als er plötzlich seine Waffe zückte, in die Knie ging und auf mich zielte. Der Gendarm war schon ein wenig älter, graues Haar, dicker Schnauzer, der seinen Mund fast komplett verdeckte.
Er trug die für Frankreich typische Gendarmenuniform in schwarz mit einer schwarzen Kappe auf dem grauen Haupt. Seine Hände waren von weißen Handschuhen umgeben und er hatte goldenes Zeug auf den Schultern, das aussah wie zwei Besen – Enden.
„Stopp! Keine Bewegung!“ rief er mir zu.
Der Bauarbeiter stellte seine Arbeit erst einmal ein, um sich als Schaulustiger zu betätigen.
Ich hob meine Hände und rief: „He – nicht schießen! Ich bin unschuldig! Ich bin Amerikaner!“
„Können Sie sich nicht für eins entscheiden?“ fragte er in lautem Ton.
Ich verlangte schon mal vorsorglich, mit dem amerikanischen Konsul zu sprechen.
Er ignorierte mein Verlangen und befahl mir, meine Waffen fallen zu lassen und mich auf den Boden zu legen. Nur gut, dass ich Pazifist bin. Hinter dem schießwütigen Polizisten kam ein weiterer Mann hinzu, groß, Glatze, ein Bart, der sich um seinen Mund schloss und dicken Augenbrauen. Er trug einen braunen Mantel, wahrscheinlich aus Leder, darunter ein mit Krawatte versehenes Hemd und eine braune Hose.
An den Füßen trug er zwei bestimmt sehr teure Markenschuhe.
„Stecken Sie das Ding weg, Sergeant Moué.“ wies er seinem Polizistenkollegen in gebieterischem Ton an.
„Verzeihung, Monsieur, aber ich kann Ihnen nicht gestatten, sich zu entfernen.“
Seine Stimme klang nun etwas höflicher und man konnte die hohe Intelligenz des Mannes förmlich heraushören. Ich fragte, noch ziemlich verunsichert und zögerlich, ob ich verhaftet sei. Der große Glatzkopf, wolle mir nur ein paar Fragen stellen, versicherte er mir.
Er befahl mich und den Gendarmen zum Café mit einem: „Marchez!“
Die Kellnerin saß immer noch, am Boden zerstört, auf der Sitzbank in der Ecke und rührte sich nicht, auch als wir hereinkamen. Der Sergeant wand sich als erstes der Leiche zu und der Mann im Mantel blieb bei mir.
„Was für ein Anblick! Diese Bombenexplosion ist schrecklich, nicht wahr?“
Ich hatte daran gezweifelt, ob dieser Mann so etwas wie Gefühle hatte, aber zu meiner eigenen Beruhigung bestätigte sich mein Zweifel nicht.
„Hören Sie damit auf, Monsieur!“ Die Stimme des Sergeants.
Der Mann, ich schätze mal er war Inspektor oder Kommissar oder so etwas, und ich drehten uns zu Moué um, der über den Toten gebeugt war.
Und wieder befahl Moué dem Toten: „Hören Sie sofort damit auf, Ihren Atem anzuhalten.“
Der andere Polizist, dessen Namen ich immer noch nicht erfahren hatte, teilte anscheinend meine Verwunderung über die Blindheit des Sergeants: „Ist Ihnen schon mal in den Sinn gekommen, dass der Mann tot sein könnte, Moué?“
„Oui, Monsieur, aber ich betrachte die Dinge lieber von der Sonnenseite?“
Wie hatte dieser Kerl nur die Polizeiausbildung geschafft.
Moué sagte weiter: „Außerdem erinnere ich mich an einen Fall, in dem der Killer entkam, indem er sich tot stellte. Na egal, in diesem Fall ist der Mann ziemlich sehr tot.“
Anscheinend kam der Sergeant so langsam wieder auf den Boden der Tatsachen.
Sergeant Moué behauptete, dass es sonnenklar war, dass der Killer von der Anwesenheit des Opfers wusste, doch der andere Polizist warnte ihn davor, voreilige Thesen aufzustellen.
Alles, was sie sicher wüssten war, dass der Mann tot war. Da hatte er nicht so ganz Unrecht.
„Ich fand es war logisch, anzunehmen, dass...“ begann Moué und der Glatzkopf unterbrach ihn: „Ein großer Detektiv nimmt niemals etwas an. Maigret zum Beispiel...“
Ich hatte nicht den geringsten Schimmer, wer das war, aber Moué verriet es: „A... aber das war eine Romanfigur, Monsieur. Er war nicht echter als Derrick oder Der Alte.“
„Das ist was anderes, Moué – die brauchten ja auch Assistenten.“ Ich hatte den glatzköpfigen Mann wohl doch für etwas intelligenter gehalten, als er tatsächlich war.
„Egal, nicht einmal Ihnen dürfte es gelingen, den Toten zum Reden zu bringen. Kümmern Sie sich um das Mädchen und nehmen Sie ihre Aussage auf, falls Sie das hinkriegen.“ ordnete der Polizist seinem Kollegen an, der sich umgehend daran machte, den Befehl zu befolgen.
„Et maintenant, zum Geschäft.“ Der Mann konzentrierte sich wieder auf mich.
Er kramte in einer Innentasche seines Mantels, aus der er Stift und Notizblock hervorholte.
Er fragte nach meinem Namen, den ich ihm sagte, mit der Bemerkung, dass ich aus Kalifornien komme, falls er danach auch noch fragen wollte.
Der Polizist wollte wissen, was mich nach Paris führte. Ich antwortete wahrheitsgemäß, dass ich durch Europa reise und er beglückwünschte meine Wahl, da die Stadt zu der Jahreszeit am schönsten war.
„Äh... ja, könnte sein – von den Bomben einmal abgesehen.“ bemerkte ich schnippisch, was mein gutes Recht war, meiner Meinung nach.
„Befanden Sie sich in der Nähe des Cafés, als die Bombe hochging?“
Ich bejahte und sagte, dass ich draußen auf dem Bürgersteig saß.
„Ich hatte Glück, dass es mich nicht auch erwischt hat!“
Der wohlmögliche Inspektor ignorierte meine Bemerkung komplett und fragte, ob ich gesehen habe, wie der Verstorbene das Café betrat.